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29. August 2011
Lettland (Teil 1/2): Riga – Schöne Stadt, kaputte Ferse, schnorrende Raucher
Ich sitze in dem Café eines Franchise-Unternehmens, das ich hier im Baltikum kennen gelernt habe, und imprägniere neue Schuhe. Meine linke Ferse hatte sich im Zuge meiner Lettland-Reise bei jedem bisherigen Schritt durch Riga vor Schmerzen gekrümmt und irgendwas gejault von: „Keinen Schritt weiter, du Sadist, oder ich bin die längste Zeit deine Ferse gewesen!“ Meine Stiefel waren von innen ausgelatscht und scheuerten an dem rohen Fleisch unterhalb meiner Achilles-Sehne. Ich hatte nur wenig Lust, mit nur einer Ferse weiterzuleben und da kam mir dieser Schuhladen in der Altstadt nahe dem Fluss Daugava ganz gelegen.
Seit gestern Nachmittag habe ich den 14-Betten-Schlafsaal eines zentralen Hostels für mich ganz alleine. Nach einer halben Stunde „Eene Meene Muh“ hatte ich mich endlich für ein Bett entschieden. Ich ließ mich drauf fallen und guckte an mir runter, wie jemand, der schon sehr lange unterwegs ist und irgendwann vergessen hat, mal wieder an sich runter zu gucken. Dabei habe ich an beiden meiner braunen Stiefel zwischen Sohle und Korpus eine Lücke entdeckt, durch die sich jeweils ungefähr 150 kleine Steinchen von baltischen Straßen den Weg in meinen Absatz gebahnt hatten. Das waren keine Stiefel mehr, das waren Rasseln. Ergo: Schmerzen + Musikinstrument = dringend neue Schuhe benötigt.
Das einzige, was ich bisher über Lettland wusste, ist, dass ich nichts darüber wusste. Jetzt weiß ich immerhin, dass es nette Schuhverkäuferinnen gibt, von denen ich mir auch gleich noch eine Dose Imprägnierspray andrehen lasse. Und ich weiß, dass die Männer in Riga gerne rauchen, auch wenn sie keine Zigaretten besitzen.
Keine zehn Minuten, nachdem ich aus dem Bus von Tallinn nach Riga ausgestiegen war, hatte ich schon drei Schnorrer an der Backe. Beim ersten dachte ich mir: „Naja, du willst dich im neuen Land ja nicht gleich in den ersten Sekunden unbeliebt machen.“ Also gab ich ihm eine. Der zweite war sogar noch dreister und verlangte zwei Zigaretten. (Puuh, das könnten anstrengende Tage werden, wenn das so weiter geht.) Als der dritte Schnorrer feststellte, dass ich seiner Sprache nicht mächtig bin, imitierte er die Bewegung eines Rauchers. Er streckte Zeige- und Mittelfinger aus und führte sie zum Mund. Ich hätte am liebsten gesagt: „Geh‘ zu dem Typen da vorne, dem hab ich gerade zwei gegeben.“ Aber er hätte mich eh nicht verstanden. Und wie ich ihm das pantomimisch hätte erklären sollen, wusste ich nicht. Deshalb schüttelte ich einfach den Kopf und ging weiter.
Eine blonde Frau um die 50 mit gebrochenem Englisch und Lehrerbrille schüttelt gerade wahrscheinlich immer noch ungläubig den Kopf, eine gute Stunde nach unserem Gespräch. „She lose job“, hörte ich sie über ihre Angestellte sagen, als ich das Gebäude verließ, „she lose job“. Schuld daran war ich. So etwas war mir aber auch wirklich noch nicht passiert.
Fortsetzung am Donnerstag, den 01.09.11:
Ihr werdet erfahren, was ich getan habe, dass ich den Job einer jungen Lettin auf dem Gewissen habe.Baltikum-Reise
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